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Die bunte Welt

In Gedanken versunken lief Anna die Strasse entlang. Sie hatte sich gerade mit Mara getroffen. Mara war seit Kurzem in der gleichen Klasse wie sie. Anna fand Mara echt nett. Mit ihr konnte man viel Spass haben und tolle Gespräche führen. Doch das war nicht der Grund, weshalb Anna so in ihre Gedanken vertieft war, dass sie um sich herum kaum etwas mitbekam.

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In der Schule wusste noch niemand, dass Anna mit Mara befreundet war. Mara wurde in der Schule von einigen anderen Kindern ziemlich doll geärgert und die, die sie nicht ärgerten hatten alle Angst. Auch Anna hatte Angst. Was würden die anderen sagen, wenn sie wüssten, dass sie sich mit Mara so gut verstand? Würden sie sie auch ärgern und ausgrenzen? Was hatten die anderen überhaupt gegen Mara? Mara hatte dunkle leuchtende Augen, wilde lockige Haare und eine gebräunte Haut. Meistens machten sich die anderen über Maras Aussehen lustig. Anna fand Maras Haare ziemlich cool und auch der Rest an ihr gefiel ihr. Wahrscheinlich machten sich die anderen auch nur darüber lustig, weil das eben etwas war, was Mara anders aussehen liess. Würde man an einem anderen Ort vielleicht Anna ausgrenzen, weil sie glatte Haare und helle Haut hatte? Was anders war, war schliesslich je nachdem, wo man war, etwas ganz anderes. Warum war es denn überhaupt etwas Schlechtes, anders zu sein?, fragte sich Anna.

Wenn sie so in die Welt sah, sah sie überall Dinge, die anders waren. Zum Beispiel Blumen. Stell dir mal vor, alle Blumen sähen gleich aus. Das wäre ein langweiliger Blumenstrauss. Oder es gäbe nur eine Art Früchte. Alle Früchte sähen gleich aus und würden gleich schmecken. Obstsalat wäre auch nicht mehr besonders lecker.

Ja, Anna war sehr froh, dass diese Welt so bunt und vielfältig war. Bis ins kleinste Detail ist alles einzigartig und so ist das Gesamtbild ein wahres Kunstwerk. Wenn schon Anna diese Vielfalt so schön fand, wie sehr musste dann erst der die Vielfalt lieben, der sie geschaffen hatte? Wenn aber Gott diese Vielfalt liebte, warum traten die Menschen sie dann mit Füssen? Es war doch etwas Schönes, dass jeder einzigartig ist und einzigartig kann man nur sein, wenn man eben auch anders ist. Anna war sich sicher, sie wollte Mara helfen. Aber was sollte sie denn tun? Auch an Anna konnten die anderen sicherlich Dinge finden, die anders waren. Was, wenn sie sich dann über Anna lustig machen würden? Davor hatte Anna grosse Angst. Das wäre sehr verletzend.

Da ging Anna ein Licht auf. Ja, das wäre sehr verletzend. Mara musste sehr verletzt sein.

 

Da wurde Anna plötzlich zurück in die Gegenwart geholt. Fast wäre sie in ihre Haustür gelaufen, so sehr hatte sie die Welt um sich herum vergessen. Sie war Zuhause angekommen. Nachdem sie gegessen hatte, fiel sie erschöpft ins Bett. So viel Denken war echt anstrengend.

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Am nächsten Morgen nahm Anna all ihren Mut zusammen. Sie holte einmal tief Luft. Dann lief sie schnurstracks auf Maras Tisch zu und setzte sich neben Mara.

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Mara war überrascht. Dann strahlte sie über das ganze Gesicht. Da musste auch Anna lächeln. Jetzt wo sie beide zusammen dasassen, fühlten sie sich beide nicht mehr allein und hatten kaum noch Angst. Erleichtert grinsten sich die beiden an.

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In der Klasse war es still geworden. Niemand wusste so recht, wie er reagieren sollte. Warum sass Anna auf einmal neben der Aussenseiterin? Plötzlich war es gar nicht mehr so einfach, Mara anzugreifen.

In der Pause kamen Annas Freundinnen zögernd auf Anna und Mara zu. Sie hatten nichts gegen Mara, aber sie hatten die gleiche Angst wie Anna. Doch wenn Anna so mutig sein konnte, konnten sie das auch. Heute sagte keiner etwas Gemeines gegen Mara. Auch an den anderen Tagen passierte kaum noch etwas. Mara verbrachte die Pausen jetzt mit Anna und ihren Freundinnen. Auch die anderen mochten Mara und schon bald war sie ein wichtiger Teil der Gruppe.

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Anna war glücklich und sehr erleichtert. Es hatte sich gelohnt, dass sie so mutig gewesen war.

Zum Vertrauen muss man sich trauen

Kurz nachdem Lilly heute Abend eingeschlafen war, wachte sie auf einer wundervollen Blumenwiese wieder auf. Auch hier war es Abend. Der Wald und die vielen bunten Blumen leuchteten in den letzten rötlichen Sonnenstrahlen. Alles hier schien irgendwie magisch. Direkt neben Lilly schlängelte sich ein schmaler Steinweg durch die Blumen. Wohin dieser Weg wohl führte? Lilly war neugierig.


Nachdem Lilly eine Weile gelaufen war, hörte sie ein leises Rauschen. Lilly konnte den Weg kaum noch sehen. Alles war zugewachsen und voller Moos. Ausserdem wurde es dunkler.


Doch da sah Lilly Lichter, die in den Bäumen hingen. Sie hatte es doch gewusst, dass dieser Wald magisch war. Weil Lilly keinen Weg mehr sah, folgte sie den Lichtern. Das Rauschen wurde immer lauter und lauter. Da stand Lilly vor einem reissenden Fluss. Über den Fluss führte eine Brücke aus grossen Steinen.


Hinter der Brücke war der Wald viel dichter und dunkler. Lilly folgte weiter den Lichtern, aber das war sehr schwer. Überall wuchs Gestrüpp. Grosse Äste lagen herum und hoher Farn bedeckte den ganzen Boden. Hier waren nicht mehr so viele Lichter, wie vorhin. War sie falsch gelaufen? Hier war der Wald gar nicht mehr schön.

Lilly fühlte die Angst in sich aufsteigen. Sie entschied sich, zurückzulaufen. Aber woher war sie nochmal gekommen? Hier sah alles so gleich aus und es war dunkel.


Und dann fiel Lilly.

Sie hatte eine hohe Wurzel übersehen und war darüber gestolpert. Sie verlor den Halt und wusste nicht mehr, wo unten und oben ist. Ohne Orientierung flog sie durch die Luft.


Doch Lilly landete nicht wie erwartet auf dem harten Boden. Was jetzt passierte, war wirklich magisch. Sie fühlte, dass sie getragen wurde. Sie hatte auf einmal gar keine Angst mehr und fühlte ein tiefes Vertrauen in sich. Eine riesige Hand trug sie durch den Wald.


Schon bald sah Lilly wieder die Lichter, denen sie gefolgt war. Sie war vorhin tatsächlich falsch abgebogen. Jetzt war sie wieder auf dem Weg zurück. Vorsichtig setzte die Hand Lilly ab. Lilly fühlte wieder Boden unter ihren Füssen. Hier war der Wald wieder schön und sie sah den Weg. Trotzdem war sie traurig. Musste sie jetzt allein weitergehen?

Da hörte sie eine Stimme: Ich bin da, auch wenn du mich nicht siehst. Egal, wo du bist und ob du träumst oder wach bist.


Da endete der Weg. Lilly war am Eingang zu einem magischen Garten angekommen. Hier wuchsen wundervolle Blumen. Auch hier hingen Lichter in den Bäumen. Alles war geschmückt und verschiedene Lebewesen des Waldes waren da. Es schien, als hätten sie schon auf Lilly gewartet. Das war also der Ort, wohin dieser Weg führte. Lilly genoss den Rest der Nacht in diesem magischen Garten.    


Als Lilly am nächsten Morgen wieder in ihrem Bett aufwachte, war sie erst ein wenig enttäuscht, dass der schöne Traum vorbei war. Doch dann erinnerte sie sich: Ganz vorbei war der Traum nicht. Lilly wusste jetzt, dass sie nie allein war.

Finn und Daniel

An diesem Morgen war Finn allein im Klassenzimmer. Er war wohl der Einzige, der vergessen hatte, dass heute die erste Stunde ausfiel. Langsam packte er seine Sachen aus und setzte sich an seinen Platz. Was sollte er denn jetzt mit all der Zeit machen? Draussen regnete es und er hatte keine Lust noch einmal nach Hause zu gehen, nur um gleich wieder los zu müssen.

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Da fiel ihm ein, dass er seinen Flummi noch dabei hatte. Er fischte ihn aus den Tiefen seines Rucksackes hervor, liess ihn gegen die Wand neben ihm hüpfen und fing ihn auf, als er wieder zu ihm zurück flog. Eigentlich waren Bälle im Schulzimmer verboten, aber es war sowieso keiner da und was sollte schon passieren? Anfangs liess Finn den Flummi nur ganz vorsichtig springen. Mit der Zeit wurde der Flummi immer schneller und sprang immer höher. Wow, das machte Spass. Finn sah vertieft dem Flummi hinterher. Wie schnell der auf den Boden sprang, gegen die Wand flog und dann wieder in seiner Hand landete.

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Doch dann war der Flummi zu schnell und flog an Finns Hand und Finn vorbei. Während sich Finn umdrehte und ihn noch fangen wollte, konnte er nur noch zusehen, wie der Flummi mit Schwung auf die Tonfiguren zu sauste, die auf der anderen Seite des Zimmers standen. Mit einem lauten Krachen kam der Flummi zum Stillstand. Leider erst, nachdem er eine der Tonfiguren mit sich gerissen hatte. Finn erschrak. Er rannte hin. Florians Tonfigur lag auf dem Boden und war nur noch ein Haufen unförmiger Bruchstücke. Was hatte er getan? Sie hatten so lange daran gearbeitet. Das würde Ärger geben. Da packte Finn seinen Flummi und seine Sachen und rannte aus dem Schulzimmer. Er versteckte sich in der Toilette und kam erst in der letzten Minute vor dem Klingeln ins Schulzimmer zurück. Er wusste immer noch nicht, was er tun sollte. Er hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen. Aber er hatte auch Angst und traute sich nicht, etwas zu sagen. In der Klasse war längst ein grosser Aufruhr. Florian weinte und war stinksauer. Alle versuchten herauszufinden, wer Florians Figur zerstört hatte. Alle redeten durcheinander. Als Frau Meier schliesslich alle ein wenig beruhigt hatte, sagte sie, wer auch immer das getan habe, solle sich schleunigst bei ihr melden. Auch sie schien ziemlich sauer. Den Rest des Morgens über sass Finn still ab. Er versuchte sich die Anspannung nicht anmerken zu lassen. Er war froh, als die Schule endlich fertig war und kam erschöpft Zuhause an. Bis zum Abendessen verkroch er sich in seinem Zimmer und auch beim Essen sagte er kaum ein Wort. Seine Eltern fragten ihn, was los sei, doch er traute sich nicht, ihnen etwas zu sagen. Er schämte sich zu sehr. Selbst als er im Bett lag, liess es ihn noch nicht los. Er hatte keine Ahnung, was er tun sollte.

 

Da kam ihm Daniel in den Sinn. Der Daniel aus der Bibel. Der stand auch vor der Wahl, ob er lügen oder die Wahrheit sagen sollte. Daniel entschied sich für die Wahrheit, obwohl für ihn noch viel mehr auf dem Spiel stand. Sein König drohte ihm damit, ihn sehr schlimm zu bestrafen. Daniel hätte einfach lügen können, aber er nahm trotz der Drohungen die Strafe in Kauf und sagte die Wahrheit. Aber war es nicht manchmal einfacher zu lügen? Das hätte Daniel auch denken können. Aber er tat es nicht und Gott rettete ihn. Wahrscheinlich weil er Daniels Ehrlichkeit schätzte.

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Da dachte Finn: Nur weil etwas leichter ist, heisst es noch lange nicht, dass es richtig ist. Manchmal braucht die Wahrheit eben Mut.

 

Finn war sich nun sicher: Er hatte sich entschieden, dass es das Richtige war, die Wahrheit zu sagen. Aber nur weil er sich entschieden hatte, war das noch lange nicht einfach. Wie sollte er das machen, wann war der richtige Moment und wie würden die anderen wohl reagieren? Finn hatte ein mulmiges Gefühl. Trotzdem wusste er: Er wollte so mutig sein wie Daniel. Und jetzt hatte er die Möglichkeit, seinen Mut zu zeigen. Egal was die anderen dann sagen würden, er wäre dann zufrieden mit sich.

 

Am nächsten Morgen ging Finn etwas früher zur Schule. Den ganzen Schulweg über dachte er darüber nach, wie er seinen Unfall vom Vortag am besten beichten sollte. Als er ankam, war sein Kopf ganz warm vom vielen Denken und seine Hände waren feucht vor Aufregung. Aber er wusste, dass es das Richtige war und er fühlte sich mutig.

 

Entschlossen klopfte er an die Tür des Lehrerzimmers. «Ist Frau Meier da?», fragte er. Erst wusste er nicht, wie er anfangen sollte, doch dann sprudelte es geradezu aus ihm heraus. Er erzählte, wie er aus Langeweile Flummi gespielt hatte und der Flummi dann doch zu schnell wurde und in die Tonfiguren flog und dass er Angst gehabt hatte, die Wahrheit zu sagen und deswegen nichts gesagt hatte. Und er entschuldigte sich, denn es tat ihm wirklich leid. Er wollte das doch gar nicht.

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Jetzt war es still. Finn schaute unsicher zu Boden und wartete auf die Standpauke.

Doch da kam nichts. Vorsichtig sah er hoch. Wie komisch. Frau Meier lächelte ihn ermutigend an. «Danke, dass du die Wahrheit gesagt hast», sagte sie. «Ich weiss, wie schwer es sein kann, zuzugeben, dass man etwas Dummes getan hat. Das war sehr mutig von dir, Finn.»

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Als auch Florian in der Schule ankam entschuldigte sich Finn bei ihm und zu dritt besprachen sie, wie Finn seinen Fehler wieder gut machen konnte. So kam es, dass Finn mit Florian nach der Schule länger blieb und ihm half, eine neue Figur zu basteln. Weil Florian Finn schon bald nicht mehr böse war, hatten die beiden sogar richtig Spass dabei und Florians neue Tonfigur konnte sich sehen lassen.

 

Am Ende dieses Tages fiel Finn wieder erschöpft ins Bett, aber dieses Mal bedrückte ihn nichts mehr und er freute sich, dass er so mutig gewesen war.

Leo und Angst

Leo lag im Bett und schlief, als langsam die Sonne ihre Strahlen durchs Fenster warf. Er gähnte und streckte sich. Dann stieg er aus dem Bett. Da stolperte er. Nanu? Was war denn das? Vor ihm stand ein kleines rundes haariges Ding. Es war schwarz wie die Nacht und schaute ihn aus seinen kleinen runden Augen erwartungsvoll an. «Wer bist DU denn?», fragte Leo das Ding. «Darf ich vorstellen.» Das kleine Ding räusperte sich. «Ich bin Angst, genauer gesagt deine Angst.»


Da musste Leo lachen. Es gab wohl keinen unpassenderen Namen für dieses kleine Ding als «Angst». Wer sollte denn davor schon Angst haben?


«Warum bist du da?», wollte Leo da wissen. «Weil du dich mir gestern nicht gestellt hast. Weisst du noch?», antwortete ihm da das kleine Ding. Jetzt erinnerte sich Leo wieder. Gestern sollte Leo den Müll raustragen. Weil er keine Lust darauf hatte, schob er es so lange raus, bis er es vergass. Erst als es schon stockdunkel draussen war, fiel es ihm wieder ein. Für den Müll musste er hinters Haus gehen. Dort wo die hohen Bäume standen und kein Licht war. Das war Leo zu gruselig gewesen und darum hatte er es gelassen. Aber da musste man ja jetzt echt nicht so ein Ding draus machen und hier extra auftauchen. Leo ärgerte sich ein wenig über Angst. Weil es nicht danach aussah, dass Angst ihm noch irgendetwas erklären wollte, entschied sich Leo einfach, das kleine Ding zu ignorieren. Ausserdem hatte er etwas viel Wichtigeres im Kopf: Heute fuhr er nämlich in ein Lager und darauf freute Leo sich schon seit Wochen. Leo packte sich noch ein paar Brote ein und verstaute die letzten Sachen im Koffer. Zahnbürste, Trinken, die Brote… ja, jetzt hatte er alles. Endlich konnte es losgehen. Mama fuhr Leo zum Treffpunkt. Dort warteten schon Leos Freunde. Leo hatte Angst inzwischen ganz vergessen. Er hatte Angst auch nirgends mehr gesehen.
Die Busfahrt in die Berge dauerte lange. Leo hatte unterwegs viel Spass mit seinen Freunden. Als sie beim Ferienhaus ankamen, war der Himmel schon rötlich und die Sonne ging unter.


Nachdem alle gegessen hatten, machten sie es sich in ihren Betten gemütlich. Leo hüpfte ins Bett. Er fand es gruselig, dass es unter seinem Bett so dunkel war. Als er im Bett landete fühlte er etwas Pelziges und dann einen Tritt in den Bauch. Da war es wieder, das kleine Ding. Angst sass in Leos Bett. «Aua, was soll das?!» fragte Leo. «Das ist mein Job», meinte da nur das kleine Ding.


Auch am nächsten Morgen liess Angst Leo nicht in Ruhe. Ständig ärgerte es Leo. Als Leo in den Keller musste, stellte es Leo ein Bein und auf der Nachtwanderung erschreckte es ihn ständig. Als Leo abends mit einem grossen Satz ins Bett sprang, wartete Angst schon. Angst hatte sich wieder in Leos Bett breitgemacht. Doch heute sah Angst schon viel grösser aus als gestern. Leo fand, dass Angst mittlerweile schon viel mehr aussah wie etwas, vor dem man Angst haben könnte. Umso mehr Angst Leo vor der Dunkelheit hatte, umso grösser schien Angst zu werden. Jedes Mal, wenn Leo sich seiner Angst vor der Dunkelheit nicht stellte, ärgerte ihn Angst noch mehr.


Es wurde immer schwieriger, seinen ungebetenen Begleiter zu ignorieren. Aber irgendwann würde Angst ihn schon wieder in Ruhe lassen und was sollte Leo auch tun.


Heute Nacht schlief Leo nicht besonders gut. Angst verfolgte ihn durch seine Träume. Als morgens aber die Sonne in Leos Zimmer schien und alles hell wurde, war Angst weg. Leo war erleichtert.
Doch als Leo später etwas aus der dunklen Abstellkammer holen musste, wartete Angst hinter der Tür und erschreckte ihn. Angst war mittlerweile ziemlich gross und Leo hatte wirklich Angst vor ihm. Weil Leo fand, dass Angst gruselig aussah, traute er sich nicht mehr das Ding anzusehen. Doch er fühlte, dass Angst ihn ständig verfolgte. Leo versuchte vor Angst wegzulaufen. Aber jedes Mal, wenn Leo das versuchte, wurde Angst nur noch grösser und furchteinflössender. Am Ende des Tages war Leo sehr erschöpft. Doch er traute sich nicht ins Bett. Angst wartete sicher schon. Da überlegte Leo, was er tun konnte. Weglaufen ging nicht. Das hatte er schon versucht.
Warum war Angst überhaupt so gross geworden? Leo erinnerte sich. Immer dann, wenn er versucht hatte, die Dunkelheit zu vermeiden, war Angst gewachsen. Hiess das, dass Angst immer dann wuchs, wenn er seiner Angst vor der Dunkelheit nachgab? Jedes Mal, wenn er sich von der Angst leiten liess, hatte Angst mehr Macht über ihn bekommen. Mittlerweile dachte Leo ständig an Angst und Angst bestimmte fast all seine Schritte. Wenn das so war, dachte Leo, dann müsste er sich der Angst vielleicht stellen. Irgendetwas musste Leo auf jeden Fall tun, denn so konnte es nicht weitergehen. Er konnte ja nicht einmal mehr in sein Bett.
Allein traute sich Leo nicht, aber er holte einen der Leiter dazu. Leo nahm all seinen Mut zusammen. Gemeinsam sahen sie unter Leos Bett nach. Mit der Taschenlampe leuchteten sie jede Ecke ab. Da war nichts. Nur ein bisschen Staub.


Da hatte Leo kaum noch Angst vor der Dunkelheit unter seinem Bett. Dann leuchtete der Leiter in Leos Bett. Leo hielt die Luft an. Ob es wohl funktioniert hatte? Ja, tatsächlich, Angst war wieder viel kleiner und viel weniger gruselig. Als Angst von der Taschenlampe geblendet wurde, verdrückte es sich aus Leos Bett. Heute Abend musste Leo nicht ins Bett springen und ohne Angst schlief er sehr gut. Ganz weg war Angst noch nicht, aber Leo wusste nun, was er zu tun hatte. Leo stellte sich immer wieder seiner Angst vor der Dunkelheit. Jedes Mal wurde Angst kleiner und kleiner. Schon bald war Angst wieder so klein wie am Anfang. Als Leo am nächsten Abend wieder unter sein Bett leuchtete, war Angst endlich ganz verschwunden. Leo hatte es geschafft. Er war mutig gewesen und hatte sich seiner Angst gestellt. Jetzt war er Angst los.

©Ameisli 2021. Der Verkauf sowie jegliche Nutzung dieser Geschichten ausserhalb des Lesens sind untersagt.

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