Reise zum Glück
Vom Zwerglein, das die Welt bereiste, um das Glück zu finden
Diese Geschichte handelt von einem Zwerg, welcher, wie es sich nun mal gehört, im Zwergenland, in einem Zwergendorf, in einem klitzekleinen Zwergenhäuschen lebte. Insgesamt unterschied sich sein Leben allerdings nicht stark von dem Unseren, bis darauf, dass eben alles etwas kleiner war. Dieser Zwerg, von dem ich euch nun erzähle, war jedoch keiner von der Sorte, die man gerne zum Freund hat oder der man überhaupt gerne begegnet - nein, dieses kleine hagere Zwerglein ist ziemlich unfreundlich. Ständig mosert es herum und es hat noch immer was zum Meckern gefunden und du kannst dir sicher sein, würdest du es treffen, es würde garantiert auch an dir etwas finden, wodurch es in lautstarkem Gezeter aufgehen könnte. Wenn man es sich eine Weile ansieht, so könnte man es leicht für boshaft halten. Niemandem scheint es etwas zu gönnen, da es dadurch ständig nur sieht, was es doch selbst so gern hätte und nicht hat. Sich mit anderen mitzufreuen, das käme ihm wohl kaum in den Sinn - sich zu freuen überhaupt, das scheint ihm unmöglich. Doch glaubt mir, es würde sich sehr gern freuen und trotzdem war es seit jeher schrecklich unglücklich und wurde dadurch immer nur noch motziger, griesgrämiger und einsamer und durch all das wiederum unglücklicher. Ein Teufelskreis, aus dem es den Ausweg nicht fand.
Doch eines Tages schien sich plötzlich eine Tür aufzutun, die es noch nie gesehen hatte. Das kleine, hagere, motzige Zwerglein hastete wieder einmal Trübsal blasend durch die Stadt, als es ein paar Gesprächsfetzen auffing, die in ihm neue Hoffnung entfachten: „...in diesem Land, da sind alle glücklich, einfach alle“, „Neeein, das kann doch gar nicht sein“, „Aber so hör doch, alle, sage ich, wirklich aaalle“.
Mit einem Mal blieb das Zwerglein stehen, machte auf dem Absatz kehrt und lief zurück. „Entschuldigen Sie, aber habe ich Sie nicht gerade von einem Land reden hören, das glücklich macht?“, fragte es die beiden tratschenden Zwerge. „Aber jaa, das haben Sie wohl, ein fantastisches Land, nun ja so erzählt man sich zumindest...“.
„Wo ist es denn?“, fragte das Zwerglein, dass sich plötzlich so energiegeladen wie schon lange nicht mehr fühlte. „Nun es ist mehr eine Geschichte als eine Tatsache und wo es ist, das kann ich Ihnen beim besten Willen nicht sagen. Ich weiss nicht einmal ob es tatsächlich existiert. Man sagt nur, die Reise sei sehr beschwerlich.“
Von diesem Moment an war sich das Zwerglein sicher, dass es dieses Land finden müsse. Doch wen es auch fragte, niemand schien Genaueres von diesem besonderen Land zu wissen. Alle schienen sie davon schon gehört zu haben, doch wo es lag und weshalb man dort so glücklich war, das konnte ihm keiner beantworten.
Da entschied sich das Zwerglein eines Tages, selbst loszuziehen und auf die Suche nach diesem Land zu gehen. Und was bot sich da besser an, als ein Schiff, mit dem es in die See stechen und alle Ufer nach diesem Land abklappern konnte. Mit diesen Entschluss im Kopf und einem Koffer in der Hand lief es also an den nächsten Hafen und kaufte sich ein Schiff und Reiseproviant. Sein gesamtes Erspartes legte es dafür hin.
Dann konnte es endlich losgehen. Wie vorhergesagt, begann damit eine lange und beschwerliche Reise. Das Zwerglein kämpfte sich durch die furchtbarsten Unwetter, legte an hunderten von Häfen an und wanderte über weite Landschaften. Doch nirgends schien sich dieses sagenumwobene Land aufzutun. Das kleine Zwerglein war schliesslich hagerer denn je, alles tat ihm weh vom vielen Wandern und den ungemütlichen Schlafplätzen. Es war müde und hungrig und durstig und seine Vorräte aufgebraucht. Doch all das war Nichts im Vergleich zu seiner Hoffnung, die sich mit jedem Meter seines Weges mehr zu erschöpfen schien.
Es lief weiter, angetrieben von der letzten Hoffnung und im Wissen, dass es nicht zurück konnte, um dort weiterzumachen, wie es schon immer gewesen war. Nein, das wollte es in keinem Fall. Es musste dieses Land einfach finden, denn es schien ihm der einzige Weg, glücklich zu werden.
Es erklomm einen weiteren von vielen Hügeln und als es oben ankam und das Tal auf der anderen Seite erblickte, da war es begeistert. Alles schien zu strahlen im gleissenden Sonnenlicht, die Natur war bunt und dem Zwerglein fiel das viele Obst und Gemüse auf, das hier überall zu wachsen schien und dazwischen all die herrlich glitzernden Quellen mit frischem sauberem Wasser.
Das musste es sein, das musste das Land sein, das glücklich machte! Natürlich war es das. Es blieb schliesslich kein Land mehr übrig. Um die ganze weite Welt war das Zwerglein nun schon gereist und nur noch dieses Land war übriggeblieben.
Umso weiter das Zwerglein schwingenden Schrittes ins Tal hinabstieg, umso mehr begegneten ihm die Einwohner des Landes, die es allesamt anlächelten. Damit war das Zwerglein endgültig überzeugt. Hier wurde man ganz offensichtlich glücklich und es fühlte sich dem Glück auch tatsächlich bereits ganz nahe. Da es noch immer hungrig und müde war, quartierte es sich bei seiner Ankunft direkt im nächsten Gasthaus ein. Es wurde freundlich aufgenommen, ass gut und sank im weichen Bett schon bald erschöpft in einen tiefen und erholsamen Schlaf. Gleich am nächsten Morgen würde es mehr darüber in Erfahrung bringen, wie man hier glücklich wurde.
Als das Zwerglein am nächsten Morgen aufwachte, stand die Sonne schon hoch am Himmel. Es hatte lange geschlafen. Jetzt aber fühlte es sich einfach super und so schlug es schwungvoll die Decke zurück, liess sich auf seine kleinen Füsse fallen und verliess schon kurz darauf sein Zimmer.
«Guten Moorgeen!» flötete ihm in der Gaststube die Wirtin entgegen, «Haben Sie gut geschlafen?» Das konnte das kleine Zwerglein nur bestätigen. Das war der erholsamste und friedlichste Schlaf seit Langem gewesen.
Die Gaststube war leer. Alle anderen Gäste hatten längst gefrühstückt und das Haus verlassen. Die Wirtin kratzte dem Zwerglein die Reste zu einem verspäteten Frühstück zusammen und es ass sich endlich wieder einmal richtig satt. Dann verliess auch das Zwerglein das Haus, denn es konnte kaum erwarten, dieses Land, das glücklich machte, endlich genauer zu erkunden.
Als es auf die Strasse hinaustrat, strahlte ihm die Sonne entgegen. Die Einwohner liefen geschäftig umher. Es war sehr laut. Alle redeten, Verkäufer priesen lauthals ihre Ware an und ein paar Kinder spielten Verstecken.
Die Wirtin hatte dem kleinen Zwerglein schon erzählt, dass es hier mitten in der grössten Stadt dieses Landes gelandet war. Das konnte das Zwerglein bei diesem Anblick nur bestätigen. Nachdem das Zwerglein dieses Gewimmel kurz betrachtet hatte, mischte es sich kurzerhand unter die Menge und lief die Strasse entlang. Alle schienen gut gelaunt zu sein, es roch gut und war angenehm warm. Hier konnte es doch glücklich werden, dachte das Zwerglein bei sich.
Doch da hörte es plötzlich jemanden wütend schreien. Nanu, konnte man den wütend sein, wenn man glücklich war? Nachdenklich lief das Zwerglein weiter. Doch als es etwas später auch noch jemanden sagen hörte, dass er Angst hatte und einen anderen weinen, da war es sehr enttäuscht. Wenn man traurig war oder Angst hatte, dann konnte man doch unmöglich glücklich sein.
Doch so ganz wollte es die Hoffnung noch nicht aufgeben. Das hier war seine einzige Möglichkeit, glücklich zu werden. Davon war es zutiefst überzeugt. Vielleicht gab es ja eine Erklärung für diese Vorkommnisse. All die anderen hier schienen doch tatsächlich glücklich zu sein. Das Land schien alles bereitzuhalten, was man brauchte.
Als das Zwerglein ins Gasthaus kam, wurde es von der Wirtin begrüsst. Fröhlich wie immer. Sie konnte dem Zwerglein sicherlich mehr erzählen.
Beim Abendessen erzählte das Zwerglein der Wirtin also von seinen Gedanken. Davon, dass es immer so unglücklich war, davon, dass es von diesem Land hörte, in dem alle glücklich waren, einem Land, das folglich glücklich machte, und davon, dass es nun doch daran zweifelte, dass es dieses Land gefunden hatte und dass es dieses Land überhaupt gab.
Das Zwerglein wurde bei diesem Gedanken so unglücklich und verzweifelt, dass ihm eine Träne über die Wange kullerte und in seine Suppe tropfte.
«Aber, aber», meinte da die Wirtin, es solle nicht traurig sein. Hier könne man ganz bestimmt glücklich werden. Sie zumindest sei sehr glücklich. Und trotzdem, meinte sie, sei auch sie mal wütend oder traurig oder habe Angst. Aber nie lange. Doch diese Gefühle stünden dem Glück doch nicht im Wege. Das Zwerglein war überrascht. Man fühlte sich doch nicht gut, wenn man wütend oder traurig war oder Angst hatte. Aber es hilft einem, sich gut zu fühlen, meinte die Wirtin. Das musste sie dem Zwerglein genauer erklären.
Na, wenn man Angst hat, dann schützt einen das zum Beispiel davor, etwas Gefährliches zu tun. Dadurch schützt einen Angst also davor, sich zu schaden.
Und Wut? – Na Wut bringt einen dazu, für sich selbst einzustehen. Wenn man sich ungerecht behandelt fühlt, dann wird man wütend und kann das dem anderen zeigen.
Aber Traurigkeit, wofür sollte die denn schon gut sein? – Na, Traurigkeit, meinte die Wirtin, die wäscht uns rein. Wenn wir traurig sind und weinen, dann waschen wir mit jeder Träne die Trauer von uns ab und verarbeiten, was uns passiert ist und uns so traurig gemacht hat.
Wenn man also all diese Gefühle im richtigen Ausmass hat, also weder zu viel noch zu wenig, dann helfen sie uns, glücklich zu werden und schaden uns keineswegs.
Jetzt ging es dem kleinen Zwerglein schon viiiiel besser und so bedankte es sich bei der Wirtin und ging in sein Zimmer. Es war noch recht unentschlossen, doch es hatte wieder neues Vertrauen getankt, das Glück hier doch noch für sich zu entdecken.
Am nächsten Tag lief das Zwerglein wieder über den Marktplatz. Es hielt an den verschiedenen Ständen und betrat schliesslich einen kleinen Laden, in dem schöne bunte Steine verkauft wurden. In der Mitte des Ladens sass zwischen all den grossen und kleinen bunten Steinen ein alter Mann und bearbeitete einige Steine. Das kleine Zwerglein schaute eine Weile gespannt zu, bis es mit dem alten Mann ins Gespräch kam. Der alte Mann wollte wissen, wo das Zwerglein herkam und so erzählte es ihm, wo es herkam und was es von diesem Land gehört hatte. Es erzählte ihm auch, dass es etwas daran zweifelte, dass dieses Land glücklich machte. Aber insgesamt sehe das Land schon so aus, als sei es das Land aus den Erzählungen. Ausserdem seien hier alle immer so freundlich zu ihm gewesen, meinte das Zwerglein. Vor seiner Reise waren die anderen nie so lieb zu ihm gewesen wie hier.
Der alte Mann hatte ihm gespannt zugehört und meinte schliesslich: „Seitdem du hier zur Tür reinkamst, hast du mich immer angelacht, warst freundlich und herzlich und hast mich mit deiner guten Laune angesteckt. Darum bin ich freundlich zu dir und lache dich genauso an.“
Da erkannte das kleine Zwerglein, dass es längst glücklich war. Aber nicht, weil dieses Land oder seine Einwohner so viel besser waren, als dort, wo es herkam.
Jetzt plötzlich viel es ihm wie Schuppen von den Augen: Dieses Land war stinknormal!
Es hatte das Land nur für so besonders gehalten, weil es das unbedingt wollte. Aber das störte das Zwerglein nicht mehr, denn es hatte gereicht, dass es dachte, dieses Land mache glücklich. So hatte das kleine Zwerglein alles genossen, was es hier hatte und tat. Es hatte sich über all die kleinen Dinge gefreut und gelernt zu schätzen. Dadurch hatte es gute Laune ausgestrahlt. Ausserdem dachte es früher ständig schlecht von den anderen. Ständig befürchtete es, dass die anderen ihm schaden wollten oder es nicht mochten. Doch hier hatte es erwartet, dass die Einwohner dieses Landes anders waren. Dass sie glücklich und gutmütig waren. Dadurch ist das Zwerglein zu den Einwohnern hier freundlich gewesen. Deswegen waren die anderen auch lieb zu ihm gewesen. Aber alles, was es hier hatte, hatte es schon immer gehabt.
Und so hatte das kleine Zwerglein das Glück gefunden. Um die ganze weite Welt war es dafür gereist, nur um zu erkennen, dass es das Glück schon immer in sich trug. Ob es nun hierblieb oder zurück in seine Heimat ging, das wusste es noch nicht. Aber eines wusste es: Dass es glücklich war, ganz egal wo.